Dreißig Tage im Rollstuhl
Schon 35 Jahre lebe ich mit körperlichen Einschränkungen, aber meine Körperbehinderung (die Lähmung meiner linken Hand als Folge eines Schädelhirntraumas) ist auf den ersten Blick für andere nicht sichtbar. Nun bin ich plötzlich für jeden auf den ersten Blick als Schwerbehinderte zu erkennen – ausgelöst durch eine ‚Kleinigkeit‘, nämlich den Bruch von 2 Mittelfußknochen nach einem Sturz, sitze ich nun Knall auf Fall im Rollstuhl.
Ich sage, weil das anfangs noch nicht in mein Bewusstsein vorgedrungen ist, mitunter spontan: ‚Ich geh´ mal schnell zum Briefkasten“ oder „ich hole das Mineralwasser rasch aus dem Keller!“
Dabei habe ich in den ersten zwei Wochen solche Schmerzen, dass ich fast den ganzen Tag im Bett liege. Ich kann keinen Schritt gehen, denn das Auftreten tut höllisch weh.
Das bringt meinen Mann auf die Idee, bei der Krankenkasse einen Rollstuhl zu leihen. Glücklicherweise ist er jetzt wahrhaft mein 'Gefährte' und bereit, mich zu schieben:, denn alleine Rollstuhl fahren kann ich nicht, da man auch dafür beide Hände zum Kurbeln braucht. Ich kann wegen der Lähmung meiner linken Hand nur mit der rechten Hand drehen – würde mich also gar nicht von der Stelle bewegen, sondern nur im Kreis auf der Stelle bewegen.
Rollstuhlbenutzerin zu sein, das bedeutet – das wurde mir jetzt deutlich – auf Mitmenschen angewiesen, dem Wohlwollen der Mitmenschen gänzlich ausgeliefert zu sein.
Ausgeliefert auch ihren Blicken – mal mitleidig, mal verlegen, ausgeliefert ihrer Hilfsbereitschaft und ihrer Rücksichtslosigkeit.
Denn ich sitze jetzt fest - und erlebe bei Ausfahrten im Rollstuhl (den ich nun im wortwörtlichen Sinn be-sitze) die Welt aus einer anderen Perspektive: Auf Kindergröße ‚geschrumpft‘ sehe ich manches in einem neuen Blickwinkel, manches kommt gar nicht mehr in mein Blickfeld. Was sich meinem Blick entzieht, kann ich nun nicht erhaschen, indem ich mich einfach auf die Zehenspitzen stelle.
Mit Babys im Kinderwagen bin ich jetzt auf gleicher Augenhöhe – werde mitunter angelächelt und angestrahlt - und lächle zurück; wir sind dabei 'unter uns', denn all das geschieht unbemerkt von den ‚Großen‘.
Mein großer Schrecken sind manchmal die Fahrradfahrer: Sie rasen geradewegs auf einen zu und weichen oft erst im letzten Moment aus – aber auch Fußgänger bahnen sich mitunter ihren Weg rücksichtslos wie Dampfwalzen – ein Rollstuhl ist für sie ein lästiges Hindernis, das sie einfach ignorieren – so nach dem Motto: „Mal gucken, wer der Stärkere ist!“ . Andere wieder weichen dem Rollstuhl aus, schenken mir ein mitleidiges, mitunter auch ein verlegen wirkendes Lächeln. Umgekehrt ist mein Rolli natürlich wirklich ein Ungetüm auf engen Bürgersteigen, das andere Passanten in die Enge treibt‘.
Fährt mein Mann mit mir über Kopfsteinpflaster werde ich richtig durchgeschüttelt – lache ich ob dieser ‚Rüttelmassage“, ernte ich auch schon mal strafende Blicke: Im Rollstuhl sitzen und lachen, das scheint ungehörig zu sein!
Meinen Ausfahrten im Rollstuhl sind nicht nur durch Bordsteinkanten, Stufen und Treppen Grenzen gesetzt - wie voll die Welt davon ist, ist mir bislang gar nicht aufgefallen -, sie bleiben auch zeitlich deshalb recht beschränkt, weil viele Kneipen und Cafés ihre Toiletten -mit dem Rollstuhl unerreichbar - im Keller haben.
Als ich nach drei Wochen endlich so weit bin, dass ich vom Rollstuhl aufstehen und ein paar Schritte laufen kann, sehe ich mich in einem Lokal von anderen Gästen misstrauisch beäugt – als ‚Simulantin‘ eingestuft (so nach dem Motto, die kann ja laufen, wenn sie will!). Und glücklicherweise kann ich ja wirklich langsam wieder auf eigenen Beinen stehen und kurze Wege zu Fuß zurücklegen.
Glücklicherweise ist mein Bruch inzwischen wieder fast verheilt.
Glücklicherweise war meine Zeit im Rollstuhl vorübergehend: Gott sei Dank.
Mittelfußknochen, so unauffällig, scheinbar so unbedeutend im Körpergerüst. Dass zwei dieser kleinen Knochen gebrochen sind, reicht nun aus, mich völlig lahm zu legen: Hatte bislang keinen Gedanken auf Mittelfußknochen verschwendet, sie bis dato gar nicht registriert, ihnen keinerlei Aufmerksamkeit und Beachtung geschenkt. Knöchel, Schien- und Wadenbein waren bislang eher in meinem Bewusstsein gewesen als mein Mittelfuß mit seinen Knochen. Wie viele hat man eigentlich? Ach, wie unwissend ich doch diesbezüglich gewesen war, bis jetzt, wo ich die Erfahrung mache, dass plötzlich nichts mehr geht…
Ich sage, weil das anfangs noch nicht in mein Bewusstsein vorgedrungen ist, mitunter spontan: ‚Ich geh´ mal schnell zum Briefkasten“ oder „ich hole das Mineralwasser rasch aus dem Keller!“
Dabei habe ich in den ersten zwei Wochen solche Schmerzen, dass ich fast den ganzen Tag im Bett liege. Ich kann keinen Schritt gehen, denn das Auftreten tut höllisch weh.
Das bringt meinen Mann auf die Idee, bei der Krankenkasse einen Rollstuhl zu leihen. Glücklicherweise ist er jetzt wahrhaft mein 'Gefährte' und bereit, mich zu schieben:, denn alleine Rollstuhl fahren kann ich nicht, da man auch dafür beide Hände zum Kurbeln braucht. Ich kann wegen der Lähmung meiner linken Hand nur mit der rechten Hand drehen – würde mich also gar nicht von der Stelle bewegen, sondern nur im Kreis auf der Stelle bewegen.
Rollstuhlbenutzerin zu sein, das bedeutet – das wurde mir jetzt deutlich – auf Mitmenschen angewiesen, dem Wohlwollen der Mitmenschen gänzlich ausgeliefert zu sein.
Ausgeliefert auch ihren Blicken – mal mitleidig, mal verlegen, ausgeliefert ihrer Hilfsbereitschaft und ihrer Rücksichtslosigkeit.
Mir fallen Redewendungen ein, die die Gefühle, die ich jetzt habe, zum Ausdruck bringen: „Sitzen gelassen werden“, das wird nun eine hautnahe Erfahrung im wortwörtlichen Sinn .Wenn mich jetzt jemand sitzen lässt, mich in Stich lässt, dann werde ich sitzen bleiben. Ich kann ihm nicht nachlaufen und ihn zurückholen. Bei Gefahr kann ich nicht weglaufen. Wie und wohin kann man im Rollstuhl flüchten?
Der Ausdruck ‚sitzen bleiben‘ kommt mir nun öfter in den Sinn: der schlechte Schüler bleibt sitzen, Von Hefe-Teig, der nicht aufgeht, sagt man in meiner österreichischen Heimat ebenfalls, er seit sitzen geblieben. Festsitzen ist auch eine höchst unangenehme Sache, die ich jetzt aus-sitzen muss.
Denn ich sitze jetzt fest - und erlebe bei Ausfahrten im Rollstuhl (den ich nun im wortwörtlichen Sinn be-sitze) die Welt aus einer anderen Perspektive: Auf Kindergröße ‚geschrumpft‘ sehe ich manches in einem neuen Blickwinkel, manches kommt gar nicht mehr in mein Blickfeld. Was sich meinem Blick entzieht, kann ich nun nicht erhaschen, indem ich mich einfach auf die Zehenspitzen stelle.
Mit Babys im Kinderwagen bin ich jetzt auf gleicher Augenhöhe – werde mitunter angelächelt und angestrahlt - und lächle zurück; wir sind dabei 'unter uns', denn all das geschieht unbemerkt von den ‚Großen‘.
Mein großer Schrecken sind manchmal die Fahrradfahrer: Sie rasen geradewegs auf einen zu und weichen oft erst im letzten Moment aus – aber auch Fußgänger bahnen sich mitunter ihren Weg rücksichtslos wie Dampfwalzen – ein Rollstuhl ist für sie ein lästiges Hindernis, das sie einfach ignorieren – so nach dem Motto: „Mal gucken, wer der Stärkere ist!“ . Andere wieder weichen dem Rollstuhl aus, schenken mir ein mitleidiges, mitunter auch ein verlegen wirkendes Lächeln. Umgekehrt ist mein Rolli natürlich wirklich ein Ungetüm auf engen Bürgersteigen, das andere Passanten in die Enge treibt‘.
Fährt mein Mann mit mir über Kopfsteinpflaster werde ich richtig durchgeschüttelt – lache ich ob dieser ‚Rüttelmassage“, ernte ich auch schon mal strafende Blicke: Im Rollstuhl sitzen und lachen, das scheint ungehörig zu sein!
Meinen Ausfahrten im Rollstuhl sind nicht nur durch Bordsteinkanten, Stufen und Treppen Grenzen gesetzt - wie voll die Welt davon ist, ist mir bislang gar nicht aufgefallen -, sie bleiben auch zeitlich deshalb recht beschränkt, weil viele Kneipen und Cafés ihre Toiletten -mit dem Rollstuhl unerreichbar - im Keller haben.
Ich fühle mich jetzt, da ich nicht gehen kann, oft über-gangen in meinen Bedürfnissen. Ich kann nicht dagegen an- oder vor-gehen, kann diesen Erfahrungen nicht ausweichen, sie also nicht um-gehen, bis es mir besser geht. Das alles entgeht mir nicht, während ich im Rollstuhl sitze –und gleichzeitig kann ich der Situation nicht ent-gehen! Wie sinnbildlich diese Formulierungen nun für mich werden!
Als ich nach drei Wochen endlich so weit bin, dass ich vom Rollstuhl aufstehen und ein paar Schritte laufen kann, sehe ich mich in einem Lokal von anderen Gästen misstrauisch beäugt – als ‚Simulantin‘ eingestuft (so nach dem Motto, die kann ja laufen, wenn sie will!). Und glücklicherweise kann ich ja wirklich langsam wieder auf eigenen Beinen stehen und kurze Wege zu Fuß zurücklegen.
Glücklicherweise ist mein Bruch inzwischen wieder fast verheilt.
Glücklicherweise war meine Zeit im Rollstuhl vorübergehend: Gott sei Dank.
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